Zusammen leben, arbeiten und gewaltfrei kommunizieren
So lautete das diesjährige Motto für unsere sechste Begegnung im Rahmen unseres Marokkoprojekts. Fünfzehn Schüler und vier Lehrer kamen Ende Juli für 10 Tage zu uns – die meisten waren zum ersten Mal im Ausland – und wurden von den deutschen Teilnehmern herzlich empfangen. Etliche kannten sich schon von unserer Begegnung in Marokko im April 2014. In gemischten Gruppen wurde diesmal an einem Fahrrad-Unterstand gebaut. Das hieß: Gelände vermessen, mit dem Bagger Löcher ausheben, Betonsockel versenken, Stahlpfeiler einbetonieren etc. Während sich zwei Gruppen schweißtreibend auf der Baustelle engagierten, ließen sich zwei weitere auf Französisch in die Gewaltfreie Kommunikation einführen, und in einer anderen gaben kreative Schüler ihre Fähigkeiten an ihre Kameraden weiter, Trommeln, Akrobatik, Tanz … Dann wurde gewechselt.
Natürlich haben wir nicht die ganze Zeit gearbeitet. Wir haben gesungen, geratscht, gekocht, gegessen, gespielt und getanzt. Wir haben unseren Gästen auch unsere Schule und unsere Stadt gezeigt. Im Dom – viele betraten zum ersten Mal in ihrem Leben eine Kirche – entwickelte sich ein sehr intensives Gespräch über Religion, so dass wir etwas zu spät zum Empfang im Rathaus kamen, der uns von Bildungsreferent Köhler und seinem Team wunderbar bereitet wurde. In einer türkischen Moschee in der Nachbarschaft unserer Schule nahmen unsere Schüler erstmals an einem muslimischen Gebet teil, und die marokkanischen erlebten, dass es durchaus Unterschiede in der Ausübung ihres Glaubens gibt. Am Lech entstand ein gemeinsames Landartprojekt, in Nördlingen wurden auf dem Flohmarkt die unumgänglichen Mitbringsel für Familie, Verwandte und Freunde zu erschwinglichen Preisen erworben, und in München besuchten wir das NS-Dokumentationszentrum.
Dieser letzte Besuch war im Programm, weil das Geschichtsbild unserer Partner bezüglich der NS-Zeit sich mit unserem ganz und gar nicht deckt, wie unsere Schüler erstaunt bemerkten. In Marokko, wie vermutlich in vielen arabischen Ländern, wird Hitler durchaus positiv bewertet. Es wird bewundert, dass er es aus armen Verhältnissen bis an die Spitze des Staates schaffte und dort die Wirtschaftskrise und die Arbeitslosigkeit in den Griff bekam – mit welchen Methoden ist dagegen unbekannt. Außerdem besteht der Glaube, dass es Hitler war, der den Deutschen ihre allseits geschätzten Eigenschaften wie Pünktlichkeit, Ordnung, Fleiß, Zuverlässigkeit verpasst hat, und es wird fälschlich angenommen, dass er die Araber von ihrem kolonialen Joch befreien wollte. Die Solidarisierung mit den Palästinensern gegen den israelischen Staat ist ebenfalls ein Faktor. Das Geschichtsbild speist sich hauptsächlich aus Behauptungen und frei erfundenen Hitler-Zitaten, die über die sozialen Netzwerke verbreitet werden; über das System des NS und den Holocaust steht in marokkanischen Geschichtsbüchern nichts. So ergab sich ein für alle Seiten höchst interessanter, interaktiver Geschichtsunterricht. Leider war der abschließende Besuch des NS-Dokumentationszentrums insofern nicht so ergiebig, weil Arabisch als Sprache der Audioguides bisher fehlt, und weil der Rundgang zum Thema Antisemitismus nur auf Deutsch existiert.
Selbstverständlich gab es im Zusammenleben gelegentlich auch Missverständnisse. Diese nahmen wir zum Anlass, uns intensiv über die Unterschiede in unseren Bräuchen auszutauschen. Als eine Gastfamilie sich wunderte, dass ihr Gast sich nie bedankte, erfuhren wir im Austausch, dass das Wort Danke im Arabischen eine ganz tiefe Dankbarkeit ausdrückt und nicht für Banalitäten wie Essen oder Begleitung verwendet wird. Belustigt erfuhren wir auch, dass unsere marokkanischen Kollegen ihren Schülern vor dem Besuch beibringen, sie sollen in Deutschland immer und für alles Danke sagen.
Ziel des Austausches ist, sich gegenseitig immer besser zu verstehen und in aller Unterschiedlichkeit Wert zu schätzen. Darauf immer wieder hinzuarbeiten, dazu gibt es in unserer konfliktreichen Zeit eigentlich keine Alternative.

Die diesjährige Begegnung bildete den Abschluss meines Sabbatjahres, das ich auch zu einer längeren Reise nach Marokko genutzt habe. Eine Berliner Kollegin hat mich dazu für die Zeitschrift Erziehungskunst interviewt.